Nichts eignet sich besser als ein plakativer Vergleich, um für ein neues Projekt zu trommeln: Den Gefallen tun Google derzeit die Medien rund um die Welt. Das geplante Wissensprojekt Google knol sei ein „Wikipedia-Killer“, heißt es da – in mehr als einer Hinsicht ein Missverständnis.

Google gibt die Idee nicht auf, mehr sein zu wollen als nur die Adresse, über die man am besten im Web stöbern kann. Die Betreiber haben seit langem auch den Ehrgeiz, definitive und belastbare Antworten auf alle möglichen Fragen geben zu können. Google will das verfügbare Wissen der Welt bündeln und zugänglich machen – von den Weiten des Webs über die Digitalisierung der Buchbestände bis hin zum Bild der Erde an sich.

Einen ersten Versuch, Suchanfragen mit definitiven Auskünften zu beantworten, machte Google 2002 bis 2006 mit Google Answers – und scheiterte grandios. Jetzt kommt Google knol, das das Wissen der Menschen anzapfen soll – da liegt der Vergleich zur Wikipedia natürlich nahe. Aber egal, ob und zu was sich knol entwickeln wird, eine zweite Wikipedia wird das nicht. Das ist schon im Design des Projektes angelegt.

knol verhält sich zu Wikipedia wie eine Monografie zu einem Lexikon. Anders als bei der Wikipedia, wo der einzelne Autor nichts ist, der gemeinsam erarbeitete Inhalt dagegen das Maß der Dinge, sollen knol-Artikel Autorenwerke sein. Am liebsten wären Google offenbar schreibende Fachleute, die hoch kompetent aus ihren Fachbereichen berichten – in Form von stark personalisierten, mit Profilen verbundenen Artikeln.

In denen haben sie stets das letzte Wort: Zwar gibt es Kommentarfunktionen, aber die werden nur relevant, wenn die Autoren das zulassen. Das heißt auch, dass bei knol die Doppelung von Themen von Anfang an angelegt ist: Während bei der Wikipedia alle an einem Inhalt schreiben – dem einen Artikel zum Thema nämlich – konkurrieren bei knol die Autoren.

Was Google auf die Beine stellt, erscheint also mehr als Konkurrenz für heutige Fachzeitschriften – und tatsächlich liegen genau da die Chance und Risiken des Projekts.

Längst haben sich selbst akademische Autoren vor allem in der angelsächsischen Welt daran gewöhnt, in erster Linie online zu publizieren. Das ist heute weitgehend ein ehrenamtliches Geschäft: Honorare fließen nur selten, bei gedruckten Werken ist es noch nicht einmal mehr selbstverständlich, dass die Autoren auch nur Belegexemplare ihrer Werke erhalten. Man schreibt für Ruhm und Ehre, und dieser Anreiz reicht trotzdem, qualitativ höchst wertvolles Material zusammen zu bekommen – wenn man über eine genügend prestigeträchtige Plattform zur Publikation verfügt.

So ist auch im Falle knol Eitelkeit der wichtigste Anreiz. Darüber hinaus aber bietet Google knol den Autoren die Möglichkeit, am mit ihrem Know-how generierten Umsatz zu partizipieren: Erlöse aus Anzeigen sollen mit den Autoren geteilt werden. Vielleicht reicht das, manchen Fachmann dazu zu bringen, seine Artikel künftig auf einer zunächst weniger prestigeträchtigen Plattform wie dem Wissensportal eines Suchmaschinenentwicklers zu veröffentlichen.

Auf der anderen Seite schwächelt das Konzept in dem Punkt der Bewertung der Relevanz und Richtigkeit. Fachzeitschriften setzen hier auf die sogenannte Peer Review durch andere Fachleute. Bei knol werden die Peers normale Websurfer sein.

Im günstigsten Fall schafft es Google damit, durch tatsächlich geplante Wertungsfunktionen für die Nutzer zumindest zu einem vernünftigen Ranking zu kommen. Garantiert ist das aber nicht: Die Prognose sei erlaubt, dass es oft Artikel Nummer 15 sein wird, der wirklich die höchste Relevanz besitzt. Wo Nutzer, wo der viel beschworene Schwarm abstimmt, setzt sich nur zu gern das Populäre gegen das Sachliche durch. Populärwissenschaft dürfte hier eher goutiert werden als akademische Tiefe.

Wikipedia berührt all das nicht. Die Wikipedia lebt nicht nur vom Ehrgeiz nach Qualität, sondern auch von der schieren Masse ihrer Autoren und Themen. Sie speist sich aus einem nur teilweise uneigennützigen Trieb, selbst Input zu geben, um im Gegenzug ungleich mehr davon zu erhalten. Sie ist das institutionalisierte Geben und Nehmen – keine Plattform, um sich zu profilieren.

Deshalb finden sich dort neben tiefgehenden Analysen auch höchst profane Dinge aus der Popkultur, deshalb ist die Themenbreite unerreicht groß und für kein lexikalisches Konkurrenzprojekt in der Welt erreichbar. Dazu kommt die oft atemberaubende Geschwindigkeit des Internet-Lexikons: Aktuelle Ereignisse und Erkenntnisse fließen im Wortsinn sofort in die Artikel ein, denn irgendwo ist immer ein Autor wach, um die Arbeit zu tun.

Auch die Größe der Marke Google mit allen damit verbundenen Chancen wird dagegen nicht ankommen können: Bei Wikipedia mag ein etablierter Philosoph gern und mit Spaß am Exkurs über Britney Spears mitschreiben; in einem Kontext, wo er mit seinem Namen, Profil und somit Renommee für seine Inhalte steht, wird er sich in dieser Hinsicht fein zurückhalten. Ob er Lust und Zeit hat, aktuelle Dinge, die seine Positionen vielleicht sogar relativieren, immer sofort einzuflechten, steht noch auf einem anderen Blatt. Kurzum: Das Business-Modell, die Grundregeln der Projekte determinieren die Art der zu erwartenden Inhalte. Wikipedia und knol ticken einfach anders.

Chancen dürfte knol trotzdem haben. Wissensportale sind ein Trend, der im nächsten Jahr so manche Inkarnation erleben wird. Auch weil knol eher die Welt der Verlage als der Community-Projekte berührt, hat es gute Chancen: Die Nachteile gegenüber der Wikipedia fallen kleiner aus als die Vorteile gegenüber der Welt der Fachverlage. Der Rest entscheidet sich – wie immer im Web – vor allem an einer Frage: Wird es Google gelingen, die nötige kritische Masse zu erreichen, um den Netz-Nutzern die Inhaltfülle bieten zu können, die diese einfach erwarten?

Auch der Name Google ist keine Garantie. Die Zahl der gescheiterten oder erfolgfrei vor sich hinplätschernden Google-Projekte ist größer als die der Erfolge. Als Dienstleister ist Google eine Macht, an der heute niemand mehr vorbeikommt. Die Bereiche, in denen sich die Firma bisher vor allem blaue Augen abholte, sind ausgerechnet Community und Wissen. knol liegt genau auf der Schnittstelle.